Sterben ist einfach, Töten ist schwer

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In "Gewalt" habe ich zwei Thesen als Ausgangspunkt genommen, die von Linda Zeller in ihrem Kung Fu Blog zitiert werden. Mit der ersten, als Budoka müsse man "in der Lage sein, jemanden abzuwehren, ohne diese Person zu verletzen", habe ich mich dort intensiv auseinandergesetzt. Hier soll nun die zweite, die Gegenthese diskutiert werden, Martial Arts handle von "der Zerstörung des menschlichen Körpers".

Ich verstehe das als die Ansicht, dass Kampfkunst letztendlich von Bestialität nicht zu trennen sei. Ich denke, dass dies von vielen Budokas geteilt wird, und eine mir nahestehende Person hat auch deswegen der Kampfkunst entsagt, zumindest dem Unterrichten. Ich halte diese Ansicht dennoch für falsch, gewissermaßen für eine Selbstüberschätzung.

Die Gewalt von der hier die Rede ist - "Alltagsgewalt" nicht Kriegsgewalt - kann schlimme Folgen haben, Tod und viele Arten von Verkrüppelung eingeschlossen. Jemand kann geschubst werden, hinfallen und sterben, wie es so ähnlich zum Beispiel der mutigen Tuğçe Albayrak wiederfahren ist. Ja.

Aber: Wenn das so einfach wäre, würden MMA Kämpfe nur 30 Sekunden dauern oder sie wären ganz verboten. Auch bruchtesterprobte Karateka können im Kampf nicht einfach so Arme und Beine des Gegners brechen. Einen Menschen kämpfend KO zu schlagen, Glieder zu brechen oder Gelenke zu sprengen ist ein schwieriges Geschäft. Um einen menschlichen Körper ohne Waffen "zu zerstören", wie es im Zitat heißt, muss man in der Regel viele Mal auf den wehrlosen Leib einschlagen, treten oder auf den Kopf des liegenden Springen. Nichts davon wird in irgendeiner mir bekannten Kampfart gelehrt. Brutalität ist zur Selbstverteidigung unter Umständen notwendig, Grausamkeit aber nicht.

Damit ist nicht bestritten, dass verschiedene, sehr gefährliche Techniken existieren, die schwere Verletzungen zur Folge haben können. Auch nicht, dass "kampfunfähig machen" unter Umständen eine brutale Härte erfordert, die wir abstoßend finden. Aber zwischen Schubsen und Kehlkopfschlag bieten alle Stile ein sehr weites Spektrum an Techniken, von denen nur eine sehr geringe Zahl unmittelbar auf schwere Körperverletzung herausläuft. Und selbst wenn wir in der Not auf solch eine Technik zurückgreifen, gibt es noch keine Garantie das sie auch ihre Wirkung entfaltet. Auch die Todesfaust ist nämlich Kino.

Vor allen Dingen kommt aber noch ein psychologisches Motiv hinzu: Ein Lebewesen, einen anderen Menschen, zu verletzen oder gar zu töten, noch dazu mit bloßen Händen, ist für die meisten von uns gar nicht so ohne weiteres möglich. Dazu braucht es in der Regel ein hohes maß an Aggression, d.h. Wut, oder aber die Kraft seine inneren Widerstände zu überwinden, d.h. Mut. Gewohnheit kann diese Hemmschwellen schleifen, Hooligans und Vollkontaktkämpfer haben dadurch einen taktischen Vorteil, aber glücklicher Weise leben wir in einer Gesellschaft in der die Übertretung des Tötungsverbots nicht geübt werden kann.

Und spätestens an dieser Stelle muss sich jeder und jede die Frage stellen: Will ich überhaupt so weit verrohen, dass es mir nichts mehr ausmacht zu verletzen, womöglich zu töten? Die Frage hat in Ländern mit Bürgerkrieg oder Bandengewalt ein anderes Gewicht als in der relativen Sicherheit Europas, aber der Pfad den sie aufzeigt ist gleichermaßen dunkel. Wer ihn beschreitet tut dies paradoxerweise aus Angst, nämlich um einen Panzer gegen die Angst zu gewinnen, und deswegen sollten wir darüber nur mit Blick auf unsere schlimmsten Ängste urteilen. (Wer diesen Pfad aus dem Gefühl von Macht und Überlegenheit heraus beschreitet versteckt sich bloß besser vor seiner Angst)

Mit unseren technischen Fähigkeiten hat all dies nichts zu tun, sondern mit unserer Bereitschaft sie einzusetzen. Der unverletzliche Supermann und die tödliche Kampfmaschine sind Kinderphantasien, aber zwischen diese Polen spannt die Kampfkunst - und der Kampfsport - ein weites Feld auf für wilde, gefährliche, schwierige und vergnügliche ... Spiele. Die stillen Schatten der Toten stehen dabei am Rand und schauen uns zu. Wer sich nicht in Tanz, Akrobatik und bloßen Phantasien verlieren will braucht ihre Mahnung zum Ernst. Aber wer leben will sollte das Leben lieben, nicht den Tod.

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