Warum Kung Fu?

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Obwohl ich schon so viele Jahre, Jahrzehnte, übe, fällt es mir immer noch schwer, darauf eine einfache Antwort zu geben. Dabei gibt es viele gute Gründe, aber eben nicht den einen. Manchmal sage ich darum: Weil ich es schon so lange mache. Das ist vielleicht auch nicht ganz falsch, aber natürlich verschiebt es nur die Frage und erklärt nicht, warum ich es dann schon so lange mache.

Die Wahrheit ist: Ich wollte es gar nicht. Mein Bruder hat mich überredet. Mit 20 hatte ich mit Zen Meditation begonnen, mit 21 angefangen T'ai Chi bei Rolf Weber zu lernen, mit 22 hatte mich mein Bruder endlich überredet wenigstens einmal zu diesem Kung Fu mitzugehen. Ich hatte meine Erfahrungen. Als Kind habe ich mehrere Jahre Judo bei Rüdiger Kotte gelernt, und obwohl ich Judo geliebt habe (ich liebe es immer noch), haben mich die Wettkämpfe schließlich vertrieben. Ich habe mich schon als Kind an der Sache gemessen, und nicht an den anderen. "Besser sein als X" ist einfach kein Kriterium dem ich Zutritt zu meinem Herzen gewähren möchte. Aber geht es nicht bei Martial Arts, Kung Fu, genau darum? Den Gegner zu überwinden? Ich war nicht leicht zu überreden, aber mein Bruder kann verdammt hartnäckig sein.

Und dann stand ich in diesem viel zu kleinen, viel zu niedrigem Kellerraum, mit vielleicht 15, 20 anderen, der Schweiß tropfte von der Decke obwohl wir alle Fenster aufgerissen hatten und ich sollte kämpfen! Kontakt aber mit Kontrolle. Richtig treffen, aber nur mit 10% der Kraft. Thomas Milanowski, damals selbst noch jung, hat uns mit der Energie eines Magiers in diesen Hexenkessel geworfen, und obwohl es so eng war, dass man keine zwei Schritte zurückgehen konnte ohne an jemand anderen oder die Wand zu stoßen, ist damals nie etwas arges passiert. Seitdem ist freies Kämpfen der wichtigste Grund dafür wieso ich Kung Fu, Martial Arts, übe und erforsche.

Thomas Milanowski, mein erster Meister, hat die Statur eines Athleten und den Forscherdrang eines Entdeckers. Er spricht fließend Chinesisch und ist ungezählte Mal ein China gewesen um dort Schätze zu heben die in den üblichen Camps für westliche Touristen nicht zu haben sind. Von Anfang an war Qi Gong fester Bestandteil seines Trainings, und das fiel bei mir auf fruchtbaren Boden. Ich übte nun T'ai Chi und Kung Fu parallel, und da das T'ai Chi von Rolf Weber ganz auf meditative Versenkung und feinfühlige Energiearbeit ausgerichtet ist, war es nicht nur eine großartige Ergänzung zu dem robusten und kraftvollen Kung Fu, sondern das Qi Gong bildete auf natürliche Weise eine Brücke zwischen diesen beiden, auf den ersten Blick so ganz verschiedenen Praktiken. Deshalb ist energetische Atem- und Bewegungsarbeit, Qi Gong, für mich ebenfalls ein wichtiger Grund Kung Fu zu üben.

Und es gibt noch mehr Gründe. Der Formenreichtum des Kung Fu, womit ich die Gesamtheit der chinesischen Kampfkünste meine, ist ein weiterer. Kein einzelner Stil kann mit diesem Reichtum mithalten, und aus keinem anderen Kulturraum sind so viele Stile überliefert! Sicherlich ist auch vieles dabei was seinen Ursprung mehr in der Bühne hat, bei fahrenden Schaustellern oder der berühmten Peking Oper. Aber es gibt auch sehr alte, archaische Quellen, und die Tierstile legen davon Zeugnis ab.

Schließlich ist auch die Selbstverteidigung ein Grund für mein Interesse an Kung Fu. Natürlich wäre es naheliegender sich hierfür einer "effektiveren" Kampfkunst zuzuwenden, dem Krav Maga zum Beispiel, oder einer Variante des Wing Chung, zumal ja das Wing Chung eben auch ein Stil des Kung Fu ist. Aber mein Interesse gilt eben nicht der Selbstverteidigung allein. Sie gibt nur Anlass und Rahmen um eine Praxis von Körper- und Partnerarbeit zu entfalten, die so ungeheuer reich ist, dass sie niemals endet und niemals ganz erforscht werden kann. Vielleicht ist also die beste Anwort, die ich auf die Frage "warum Kung Fu?" geben kann: Weil es niemals langweilig wird.

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